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Ins Neue führen - Jurybericht des ersten "Innovationspreises der freien Kulturszene Wiens"

Mitglieder der Jury waren: Udo Danielczyk (Kulturplattform Oberösterreich, Linz), Andreas Leo Findeisen (Kulturphilosoph, Wien), Michal Hvorecký (Schriftsteller, Bratislava), Birgit Sattlecker (Galerie Fotohof, Salzburg) und Martina Wäfler (Kultur-Projekt-Büro, Wien).


Insgesamt langten bei der IG Kultur Wien 75 Einreichungen ein, 13 in der Kategorie "Internationaler Austausch" und 62 in der Kategorie "Projekte in der Stadt Wien". Die Präsentationsformen fielen sehr unterschiedlich aus: Zu evaluieren waren CD-ROMs, ausgefeilte Pläne, Dokumentationsmaterialen in dicken Ordnern, Musik-CDs, Videokassetten und natürlich vor allem Texte. Zahlreiche Beiträge hatten einen dokumentarischen Wert, da sie nicht nur Einblicke in die aktuelle Situation der Kunstszene Wiens, sondern auch in einige Szenen und Kooperationen in Mitteleuropa gaben. Die Mehrheit der Projekte war in professioneller Form aufbereitet und brachte damit das breite Spektrum und das große konzeptionelle Potential der freien Kulturszene Wiens zum Ausdruck. Doch wieder und wieder musste die Jury auch mit Verbitterung zur Kenntnis nehmen, dass Projekten von hoher und teils schon öffentlich bewährter Qualität in den letzten Jahren die Umsetzung - aufgrund finanzieller Kürzungen - zunehmend erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht wurde.

Nach wochenlangem Durcharbeiten aller Einreichungen kamen die Jurymitglieder am 2. April zusammen, um in einer 13-stündigen Marathonsitzung intensiv miteinander zu diskutieren, zu streiten und immer wieder alle Argumente neu gegeneinander abzuwiegen. Aufgrund der, für den Innovationspreis ungewöhnlich vielen verschiedenartigen Disziplinen und konzeptionellen Ansätze der Einreichungen, ging der Entscheidungsfindung von fünf Personen oft ein zähes Ringen um Konsens voraus – auch die schließlich nominierten Projekte konnten sich nur mit knapper Mehrheit durchsetzen und kein Antrag vereinte in der ersten Runde mehr als drei Stimmen auf sich. So war sich die Jury auch ständig des hohen Maßes an Relativität bewusst, mit der die Entscheidungen zustande kamen, worauf hier im Blick auf viele, die nicht nominiert wurden, hingewiesen sei. Wiederum positiv zu beurteilen war, dass manche der Projekte sich bereits im Stadium der Realisation befinden und noch im Jahr 2004 zu sehen sein werden.

Neben den in der Ausschreibung enthaltenen Kriterien waren der Jury bei der Beurteilung der Projekte folgende Kriterien wichtig:

Nachhaltigkeit
bedeutet, dass ein Projekt die Erschließung neuer Publikumsschichten für einen künstlerischen bzw. kulturellen Inhalt auf eine gewisse Dauer anvisiert und in der Durchführung als realistisch evaluiert wird. Auch eine Projektebene der Dokumentation, die über die Organisation von Arbeitstreffen und Projektveranstaltungen hinausgeht (z.B. der Produktion von netzbasierten Inhalten, verbreitbaren/neuen Medien, usf.), verstärkt den Aspekt der Nachhaltigkeit. Ziel ist es, kulturelle AkteurInnen anzusprechen.

Wertverbesserung
bedeutet, dass ein Projekt dem kulturellen Angebot Wiens bzw. dem Status von in der Vergangenheit (v.a. 90er-Jahre ) entwickelten internationalen Kooperationsstrukturen eine konkret benennbare Qualitätssteigerung hinzufügt. Diese kann z.B. im leichteren Zugang von KünstlerInnen und KulturakteurInnen zu Information, Arbeitskontakten und Arbeitskooperationen liegen.
Wertverbesserung kann auch bedeuten, dass ansonsten in der lokalen Szene so nicht bekannte Formen künstlerischer und kultureller Produktion eine Bühne und ein Diskussionsforum finden, bzw. Methoden der Kunst- und Kulturanalyse auf sehr aktuelle oder bisher nicht erschlossene Felder ausgedehnt werden und zu einer interkulturellen, wissenschaftlichen bzw. transdisziplinären Forschung anregen und beitragen.
Wertverbesserung kann ebenfalls bedeuten, dass ein Projekt innovative Handlungsrahmen erfindet, welche beispielgebend für den lokalen wie internationalen Kontext rezipiert werden können. Dementsprechend wird auch das Potential beurteilt, die Wahrnehmung bekannter künstlerischer bzw. kultureller Methoden und Inhalte zu transformieren.
Wertverbesserung kann schließlich auch bedeuten, dass nicht-österreichische Kulturschaffende eine Projektdurchführung nach Form und Inhalt bestimmen und so die lokale Szene um ihre Perspektiven bzw. Produktionsformen bereichern und irritieren.

Politische Signalwirkung
Durch Nominierung und Prämierung soll jenen Projekten Raum und Beachtung gegeben werden, die inhaltlich etwas zu sagen haben. Die Jury ist sich einig darin, dass die Auswahl der Einreichungen unter dem Aspekt einer politischen Signalwirkung getroffen werden soll.

"Innovation" – im Rückblick auf den ersten "Innovationspreis der freien Kulturszene Wiens" vielleicht doch ein Begriff, den die freie Kunstszene getrost seiner weiteren inflationären Verwendung in Politik, Wirtschaft und Forschung überlassen dürfte? Keineswegs, denn der Gestus der nominierten und prämierten Projekte ist weder bescheiden noch verunsichert.
Eigeninitiative und die strukturelle Klarsicht auf ein kulturelles Vakuum können die Schaffung von neuartigen Handlungsrahmen zur Folge haben, Handlungsrahmen, die in dieser Form auch von einer Überzahl der Organisationen und Institutionen, die ohnehin schon unterwegs sind, nicht in die Welt gesetzt werden würden.

RUS KLUB: Klub und Plattform / Preisträger in der Kategorie "Projekte in der Stadt Wien
Der "Rus Klub" versteht sich als Neuansatz in einer weiten Landschaft inhaltsleer gewordener Klubkultur. Gleichzeitig setzt er sich ab von einem klischeebeladenen und klischeeabhängigen Verständnis von kultureller Übersetzung, wie sie mit der Organisation von sog. "Russendiskos" im westlichen Europa z.Zt. boomen. Das Projekt ist aus der interkulturellen Teamarbeit zwischen Ost (2 Personen) und West (1 Person) entstanden. Im Vergleich zwischen Projektdauer und Produktionsoutput kommt die Jury zu dem Urteil, das Programm und Organisation des Rus Klub sehr ernsthaft betrieben werden. Der jeweilige biographische Werdegang der Protagonisten vereint unterschiedliche Erfahrungen z.B. aus dem Galeriewesen, der Photografie, der Elektronische Komposition, der Leitung eines Musiklabels usf., was eine andauernde interdisziplinäre Mischung zwischen den Polen der bildenden Kunst auf der einen Seite, der elektronischen Musik auf der anderen Seite garantiert. Zudem wird begrüßt, dass eingeladene KünstlerInnen auch in Vorträgen über ihre Arbeit befragt werden können.

Das Wiener Label Laton konnte sich in den vergangenen Jahren einen internationalen Ruf sichern in der Elektronikszene erarbeiten und durch ständige Konzert- und Produktionsreisen auf Kontakte zu verschiedensten Szenen in Ost- und Westeuropa aufgebaut werden. Die bisher eingeladenen KünstlerInnen (A. Borisov, Satori, Benzo etc.) sind in ihren lokalen Kontexten aktuelle Szenegrößen. Die im Projektantrag vorgestellte Kommunikationsplattform im Internet mit deutschen wie russischen Texten in derselben Seitenansicht ist gerade für ein solches Projekt "kultureller Übersetzung" vielversprechend, konnte online allerdings noch nicht gefunden werden. Mit der Sezessionsbar konnte eine geeignete Location gefunden werden – quasi "neben der Gegenwartskunst, aber unter ihr". Die Kooperation mit dem Tonstudio der Akademie der bildenden Künste gewährt eine hohe technische Qualität der Darbietungen auf Dauer.

Kritisch wurde in der Jury diskutiert, ob hier tatsächlich über das kostenpflichtige Kluberlebnis hinaus politische Relevanz und die Kommunikation von Inhalten im Vordergrund stehen. Teile der Jury, die eine Veranstaltung des Rus Klub besucht haben, bestätigen dies, können allerdings gut nachvollziehen, dass dies in einem papiernen Antrag kaum zu kommunizieren ist. Die Jury zeichnet dieses Projekt aus, da hier dauernd, umgehend, frei zugänglich und vielfältig Einflüsse von hoher Qualität in die Wiener Szenen zu erwarten sind, die in dieser Form von keiner anderen Gruppierung oder Institution organisiert werden würden.

http://pages.akbild.ac.at/dsf/home.htm

BILLBOART GALLERY EUROPE / Preisträger in der Kategorie "Internationaler Austausch"
Das Projekt besticht durch ein breites Netzwerk von KuratorInnen und KünstlerInnen in nicht weniger als 15 osteuropäischen Staaten und bisher nur einem westeuropäischen Staat: Österreich. Auch in der Zusammensetzung des "Professional Council" spiegelt sich die Teilnahme eines Großteils osteuropäischer Länder und Städte in einem gemeinsamen Gremium, im Näheren Budapest (Hungary), Iasi (Romania), Bratislava (Slovakia), Brno (Czech Republic), Zagreb (Croatia), Yerevan (Armenia), Prague (Czech Republic), Graz (Österreich), Warsaw (Poland), Belgrade (Yugoslavia), Tbilisi (Georgia), Wien (Österreich) und Kiev (Ukraine).

Das Standardmedium des Konzepts – für bildende Kunst reservierte Werbeflächen im urbanen öffentlichen Raum – ist im westeuropäischen Kunstkontext zwar seit Beginn der 90er-Jahre hinlänglich bekannt, die gleichzeitige Verwendung dieses Standardmediums als Kommunikationsmodul eines multinationalen Netzwerks jedoch generiert im Kopf des Betrachters / der Betrachterin angesichts eines einzelnen "Billboards" eine neuartige europäische Raumwahrnehmung, wie sie in dieser Form noch von keinem anderen Projekt realisiert wurde und hier bewusst auch für die Kommunikation politischer Inhalte durch die gezielte Auswahl der gezeigten Werke genutzt wird. Die modulare Form der Konzeption ermöglicht den Einbezug weiterer Partner innerhalb und außerhalb Europas in Zukunft. Projektname und Präsentationsmaterial wurden von der Jury kritisch diskutiert und spiegeln die Projektpotentiale für eine weitere Verbreitung im Westen Europas ungenügend wider.

In Hinsicht auf die Kategorie "Internationaler Austausch" des Innovationspreises ist die Tatsache hervorzuheben, dass die schon laufende Kooperation zwischen so vielen PartnerInnen im Jahr 2002 in Bratislava initiert wurde und erst kürzlich in Wien seine ersten westlichen Partner fand.

www.billboart.org
www.wuk.at/index/id/14/va_id/1017/


Redaktion: Martina Wäfler, Andreas Leo Findeisen  

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