#istnoetig: Auf Augenhöhe erster offener Brief anlässlich 15 Mal noetig, fünfzehn Tage, fünfzehn Forderungen, fünfzehn Briefe und Aktionen
Vom 1. bis 15. März 2016 senden Einzelkünstler_innen und Gruppen unter dem Hashtag #istnoetig pro Tag eine von 15 Forderungen als offenen Brief an die Kulturpolitik und den Kulturstadtrat. Den ersten Brief schickte die IG Kultur Wien am 1. März an Bürgermeister Häupl, Vizebürgermeisterin Vassilakou und Stadtrat Mailath-Pokorny:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl,
sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin Vassilakou,
sehr geehrter Herr Stadtrat Mailath-Pokorny,
derzeit findet paternalistische Kulturpolitik von oben statt, die Künstler_innen und Kulturschaffende marginalisiert und entmündigt.
Wir fordern, dass sich die Kulturpolitiker_innen endlich auf eine Kommunikation auf Augenhöhe mit den Kunst- und Kulturschaffenden und deren Interessensvertretungen einlassen.
Hierzu und zum besseren Verständnis ein Gedankenexperiment, nennen wir es: Eine Ihrerseits erstgemeinte Einladung zur Beteiligung!
Nehmen wir einmal an,
es sind Wahlen und ein erheblicher Anteil der unabhängigen Wiener Kunst- und Kulturschaffenden macht sich die Arbeit, gemeinsam Fragen zum Wiener Kunst- und Kulturbereich zu stellen und die Entwicklung der letzten Jahre in Wien zu diskutieren. In zahlreichen öffentlichen Formaten findet Austausch statt und schließlich kristallisieren sich einige Punkte heraus, bei denen es dringenden Handlungs- und Änderungsbedarf gibt. Diese werden mit vereinten Kräften als Positionspapier zusammengefasst und anschließend der Öffentlichkeit und damit der Kulturpolitik dargelegt.
Nehmen wir einmal an,
es handelt sich hierbei um 15 Forderungen an die Kulturpolitik. Welche Reaktion vonseiten der politisch Verantwortlichen, also vom Kulturstadt, von den regierenden Parteien und ihren jeweiligen Sprecher_innen, wäre nun wünschenswert? Sie sollten zu den jeweiligen Forderungen öffentlich Position beziehen und einen Diskurs ermöglichen. Wir schlagen hierzu öffentliche, kontinuierliche Diskursformate mit Politik und Verwaltung vor. Hier kann auch geklärt werden, welche Themen in der laufenden Amtsperiode angegangen werden und wie hier eine Einbindung passieren wird. Indem Kunst- und Kulturschaffenden damit (diskursiver) Raum verschafft wird, würde für diese sichtbar, dass die Verantwortlichen deren Situation wahrnehmen und ihren Anliegen Aufmerksamkeit schenken. Die jeweilige Ausrichtung der Regierenden wird dadurch nachvollziehbar und konkrete Ankündigungen können den konkreten Ergebnissen der nächsten Jahre gegenübergestellt werden.
Nehmen wir einmal an,
die regierende Koalition einigt sich im Rahmen ihres Koalitionspapiers auf Arbeitsgebiete, die behandelt werden und bei denen es zu neuen Entwicklungen oder Evaluierungen kommen soll. Dies sind im besten Fall Themen, die einige oder viele Menschen in dieser Stadt betreffen, und die Relevanz für den jeweiligen Bereich haben. Aber auch für politisch Verantwortliche unangenehme Themen, zum Beispiel eine fiktive zehnprozentige Kürzung im Kulturbudget, werden dann offen und vorab kommuniziert, begründet und mit den Betroffenen verhandelt. Da in diesem Szenario Politiker_innen zu den Konsequenzen ihrer Handlungen stehen, haben sie auch kein Problem damit, kontroverse Anliegen vorab öffentlich zu thematisieren.
Den politischen Verantwortlichen ist bewusst, dass Entscheidungen nicht an den Szenen vorbei getroffen werden sollen, also laden sie Interessengemeinschaften ebenso wie Gruppen/Kollektive und Einzelpersonen, die in den jeweiligen Themenfeldern aktiv sind, zu Gesprächen ein, die als nachhaltige Dialogformate konzipiert sind. Diese Prozesse sind ergebnisorientiert, öffentlich und bezahlt. Nur durch dieses gemeinsame Entwickeln kommen Ergebnisse zustande, die für die jeweiligen Kontexte praxisnahe und nachhaltig Wirkung entfalten können.
Diese Arbeitsprozesse machen Stadtpolitik und damit verbundene Entscheidungsfindung sichtbar und beziehen viele Bewohner_innen durch unterschiedliche Formate mit ein. In den Beteiligungsprozessen werden direkte Formen der Mitbestimmung eingesetzt, die gemeinsames Entscheiden (ohne Hierarchie) zulassen. Inhaltliche Positionen und unterschiedliche Zugänge werden so verhandelbar, eine Entwicklung von Debatten und Perspektiven ermöglicht.
Nehmen wir einmal an,
es gelänge auch abseits von konkreten Anlässen, Neuerungen oder Evaluierungen fixe Ansprechpersonen für die jeweiligen Interessengruppen und Szenen bereitzustellen.
Diese Referent_innen sichern hierbei die dauerhafte und laufende Kommunikation. Sie sind mit den Szenen vertraut, kennen die Orte und Beteiligten. Sie sind damit Brückenbauer_innen, die gewährleisten, dass der Stadtrat nun mit der Gesamtheit der Szene gleichermaßen vertraut ist, und sich neben den großen, gut geförderten Institutionen auch mit autonomen Orten und Frei-Räumen und deren Produktionen beschäftigt.
In Konfliktsituationen stellen sich die Referent_innen gemeinsam mit dem Stadtrat auf Seite der jeweiligen Betroffenen und unterstützen diese. Ihnen ist bewusst, dass gerade in Zeiten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks offene Kulturräume und kritische Kunst nötig sind, und dass gerade kleine und unabhängige Initiativen deswegen gestärkt werden müssen. Eine Initiative, die akut von Raumverlust betroffen ist, würde mit rechtlichem Beistand versorgt werden und die Politik dies zum Anlass nehmen, klar Stellung gegen Immobilienspekulation zu beziehen.
Oder eine Plattform, die für regelmäßige wichtige Diskursveranstaltungen sorgt, wird als wichtig verstanden, und ihr Budget wird deshalb zum vierten Mal in Folge erhöht statt gekürzt.
Oder ein Ort, der niederschwelliges Nutzen für viele ermöglicht, müsste nicht Jahr für Jahr ums Überleben kämpfen, sondern würde automatisch inflationsangepasst. Ein Großteil der Subvention flösse nicht wieder über Mietkosten zurück in das stadtnahe Haus, sondern diente der Umsetzung der Ziele des Vereins.
Referent_innen sind wichtige Schnittstellen zwischen Politik und Verwaltung, deshalb wird auch großes Augenmerk auf die Kontinuität des Austausches und der Wissensweitergabe gelegt. Damit wird weiterhin auch bei Personalwechseln ein produktives Weiterarbeiten ermöglicht. Sollte es zu kurzfristigen Wechseln kommen, werden diese rechtzeitig bekanntgegeben, damit keine großen Lücken in der Kommunikation entstehen.
Nehmen wir einmal an,
diese Vorschläge werden umgesetzt und damit erste Schritte in Richtung einer Beteiligung auf Augenhöhe getan.
Protest von Plattformen wie #istnoetig und damit verbundene offenen Briefe wären nicht mehr nötig
Beste Grüße,
Willi Hejda
Vorstand IG Kultur WienWien, 1. März 2016