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REFORM ODER ENDE DER FREIEN SZENE?

Erstellt von Thomas J. Jelinek |

Am 11.10.04 fand im WUK die 2. Diskussionsrunde der Reihe: >Weg vom runden Tisch - zur Freiheit des Theaters< unter dem Titel: >Reform oder Ende der freien Szene?< statt.

Zusammenfassung von Thomas J. Jelinek



Mit der Diskussionsreihe: Weg vom runden Tisch - zur Freiheit des Theaters hat sich bereits mit den ersten beiden Gesprächsrunden: "Inhalte der freien Szene" in der THEATERLABORWERKSTATT und jüngst im WUK mit dem Titel "Reform oder Ende der freien Szene?" eine wichtige Diskursplattform gebildet. Der exponentiell steigende Zulauf bestätigt dies.
Während sich die erste Runde mühte den Begriff freie Szene im Zeitgeschehen zu definieren und Fragen aufgeworfen wurden (ein Teil wurde im Ankündigungstext zur 2. Runde im WUK formuliert), saßen in der zweiten Runde einer großen Zahl sich als Protagonisten eben dieser freien Szene verstehender Menschen, den Initiatoren und Durchführende der konkreten Theaterreform gegenüber, womit sich ein wesentlich pragmatischerer Ton durchsetzte.

Als geladene Gäste diskutierten unter reger Publikumsbeteiligung und moderiert von Thomas J. Jelinek (IG Kultur Wien/THEATERLABORWERKSTATT/nomad-theatre):
Marie Ringler (Die Grünen), Ernst Woller (SPÖ), Günter Lackenbucher (Referent f. Theater, Büro des Kulturstadtrates), Ali Abdullah (comPlextheater), Bert Gstettner (TANZ*HOTEL), Sabine Kock (IG freie Theater), Eva Brenner (Projekttheater Studio), Helmut Hartmann (ehm. Theaterleiter WUK-Theater) –
Andreas Salcher (ÖVP) musste leider aus beruflichen Gründen, Anna Maria Krassnigg (iffland&söhne), aufgrund ihrer Probentermine absagen.


So allseitig der Konsens über die Notwendigkeit einer Theaterreform zu sein scheint, so divergierend zeigten sich die Meinungen über Prozedere und Ausrichtung der Selben.

Vor allem die Zeitfolge der Reformschritte – die ja laut Politik und Kuratoren einen Schwerpunkt in der ausgewogeneren Verteilung zwischen den vielfachen "Privat-", Klein- und Mittelbühnen und der frei flottierenden Szene bewirken soll – wurde mehrfach hinterfragt und kritisiert. Die Frage stellte sich ob das Pferd nicht von hinten aufgezäumt werde,
man also zuerst die Reform der Konzeptförderung der mehrjährigen Förderverträge vorziehen bzw. abwarten hätte sollen bevor die strukturelle Änderung der freien Budgetvergabe in Angriff genommen werden hätte können. Die wiederholte Betonung, dass von Ende keine Rede sein könne, da wir erst am Anfang der Reform stehen, konnte die Frage nicht wirklich klären. Das in der Eröffnung formulierte Argument dass Grossen Umbauten grössere Planungszeiten eingeräumt werden sollten und das Gegenargument von Ernst Woller (SPÖ), dass die Reform ohnehin viel zu lange auf sich warten hat lassen um noch weitere Verzögerungen zuzulassen wurden in der folgenden Diskussion nicht konkreter aufgegriffen.
Konkret und klar vor allem durch den Einsatz von Günter Lackenbucher konnte zu Detailfragen und Reformprozess diskutiert bzw. Fakten gegenüber gestellt werden - Seine Kritik an der derzeitigen Terminlage für Einreichungen – z.B. dass der Haupttermin für Jahresvergaben etc im Herbst liegt – also vor dem politischen Budgetbeschluss, was de facto heißt dass keine verbindlichen Zusagen gemacht werden können, lässt hoffen dass eine Neustrukturierung des Budgetjahres angedacht ist, Entscheidungsprozesse verkürzt und klare Vorabinformationen einholbar sein werden.
Leider blieben aber eine Fülle von grundsätzlichen Fragestellungen, möglicherweise auch auf Grund der größe der Runde, einfach im Raum stehen.
Großzügigere Gedankengänge wie z.B. das Statement von Heidi Cammerlander (Grüne) in der ersten Runde, daß Kunst mit Demokratie und nicht mit Ökonomie verbunden gehöre, das Budget für Freies Theater immer ein Restbudget sei, wir Kultur so wie Bildung nur vermarkten und daran den Wunsch eines Umdenkprozesses in der Politik knüpfte, konnten in der 2. Runde aufgrund der Tendenz zur Detaildiskussion kaum Raum finden. Wenn auch Eva Brenner (projektTheater) betonte, dass das eigentliche Problem ein politisches und globales ist welches mit New Economy und politischem Bewusstseinswandel in Zusammenhang gebracht und dementsprechend diskutiert werden sollte.
Entsprechend vertrat Marie Ringler die Line ihrer Parteikollegin mit der pragmatischen Forderung nach Aufstockung des freien Budgets.
Ernst Woller erklärte dazu, dass der Prozess des kontinuierlich mit der wachsenden Szene vergrösserten Budgets im letzten Jahrzent nicht unbegrenzt weitergeführt werden könne, was u.a. die strukturelle Reform notwendig machte.
Lackenbucher fügt ein dass mit dem Reformvorhaben das Ziel erreicht werden soll, bislang gebundene Gelder wieder frei zu bekommen um ein grösseres freies Budget zur Verfügung zu haben. Allerdings müsse zuerst die Entscheidung der Jury abgewartet werden um genauere Angaben geben zu können. Grundsätzlich könne die Theaterreform erst richtig in den nächsten Jahren greifen wenn die Umstrukturierung der "Privattheater" und sog. Mittelbühnen vollzogen sei. Die aus dem Publikum formulierten Fragen nach einem genaueren Strukturplan der vorgesehenen Kooperationshäuser könnten ebenfalls erst nach der Entscheidung der Jury beantwortet werden.
Die darauf von Sabine Kock (IGFT) in den Raum gestellte Frage, welche Häuser konkret zur Disposition stünden und die Kritik dass diese eigentlich vor der Konzepteinrichungsdeadline bekannt geben hätten werden sollen, blieb leider in diesem stehen. Der Nachsatz, dass das Thema Koproduktionshaus, aus ihrer Sicht, von der Szene nicht als große Vision wahrgenommen werde, mündet in der Frage ob die Konzentration auf wenige Kooperationshäuser ausreichen kann. Diese wurde von Bert Gstettner aufgenommen, der ins Feld führte, dass sich mit dem Tanzquartier gezeigt habe, dass eine zentrale Einrichtung nicht ausreicht die Erfordernisse an Arbeitsmöglichkeiten, um die notwendige kontinuierliche Arbeit die auch in der freien Szene geleistet werden muss, um Ergebnisse bzw. Output zu erzeugen, abzudecken. Gleichzeitig werden aber den "selbstverwalteten" Arbeitsstätten, aus welchen Gründen auch immer, sukzessive die Mittel gekürzt.
Hier schloss sich der Kreis zur Behauptung der Einmoderation, dass eine freie Szene, um als solche gelten zu können, dezentrale, selbstorganisierte Arbeits- und Produktionsstrukturen braucht.
Dazu Sabine Kock grundsätzlich: Wenn das Budget aufgestockt worden währe um das Reformvorhaben zu realisieren währe das ein klares Zeichen eines positiven Aufbruchs gewesen. So erscheint die Grosse Theaterreform als kleinteilige Budgetumschichtung und Sparmassnahme. Vor allem wenn gleichzeitig durch die bekannten Großprojekte signalisiert wird, dass dort wo politischer Wille vorhanden ist, sehr große Geldsummen in Kulturbetriebe investiert werden können.

Der weiteren Feststellung von Sabine Kock dass Kriterien für Projektförderung (wie für die Konzeptförderung) nicht formuliert wurden kann vielleicht mit dem Statement der Kuratorin Anna Thier aus der ersten Diskussionsrunde, begegnet werden nachdem Kunst nicht objektiv bewertet werden könne, und daher die Theaterkuratoren nur versuchen konnten, subjektiv die radikalsten Projekte auszuwählen. Dazu muss allerdings ergänzt werden dass die Frage was Radikalität in unserer Gegenwart eigentlich bedeutet, und dass Radikalität oft nur in oberflächlicher Form wahrgenommen wird, in der darauf folgenden Diskussion zur Definition von Radikalität am Anfang des 21ten Jhdts. nicht zu einem konsensfähigen Abschluss gebracht werden konnte.


Mehrere Wortmeldungen aus dem Kreis des Publikums formulierten zusammenfassend die oft gehörte Frage warum die Intelligenz der Szene in solche Prozesse nicht hereingeholt würden. Marie Ringler (Grüne) befürwortete darauf im Zusammenhang mit den Kooperationshäusern den u.a. von Sebastian Prantl formulierte Vorschlag, Arbeitsgruppen unter Einbeziehung und Teilnahme von Theatermachern u. ChoreografInnen der "freien Szene" zu installieren.
Dem steht die Behauptung entgegen, dass eine dialogische Reformstrategie nicht ernsthaft versucht würde. Diese wurde durch das Argument Sabin Kocks gestützt, dass es nicht möglich sein kann mit den Kuratoren ein herrschaftsfreies Gespräch zu führen, wenn der Reformprozess mit dem Entscheidungsprozess zur Geldvergabe gekoppelt ist.

Die oft wiederholte Frage nach grundsätzlichem Plan oder politischer Vision die Theater und Tanzlandschaft in Wien betreffend blieb für die meisten unbeantwortet.
Zum Beispiel schien die Beantwortung der von Ali Abdullah nochmals gestellte Frage nach dem eigentlichen wohin der Theaterpolitik, durch Ernst Woller (SPÖ) damit, dass die Richtlinien grundsätzlich ausreichend mit der Theaterstudie formuliert seien, diesem und vielen andern nicht auszureichen.

Katherina Zakravsky hat in ihrem Statement einen (Wortlaut) "bedauerlichen Generationenkonflikt" festgestellt, der schon seit längerem besteht und jetzt neuerlich zum Tragen kommt. Dies zu lösen bedürfe es einer tiefgreifenden Auseinandersetzung. Dieses Statement im Zusammenhang mit den im Raum hängengebliebenen Fragen, von denen hier einige angedeutet werden konnten, kündigt eine Reihe von Diskussionen und Auseinandersetzungen an, die meiner Meinung nach für das gerne in gemütlichem Schweigen muntere Wien nur fruchtbar sein können.
Vielleicht initiiert sich damit eine Gegenströmung zum in der Diskussion allgemein festgestellten Fakt, dass die von der Kunst produzierten Inhalte in der Öffentlichkeit immer weniger diskutiert werden.

In der Diskussion schien sich ein grundsätzliches Missverständnis zu kristallisieren. Während die Mehrheit der Theaterschaffenden den Begriff Theaterreform als grundlegende Neuorientierung verstehen wollen, scheint die Politik mehrheitlich und in der Hauptsache die Umstrukturierung in der Vergabe von Fördermitteln zu sehen.
Oder, schoss mir durch den Kopf, dass man vielleicht den Theater/Tanzmenschen, wie Kindern, eine umfaßendere Diskussion, die über die Verteilung ihrer Spielsachen hinausgeht, nicht zutraut. Aber ein solcher Gedanke muss natürlich als unseriös abgewiesen werden.
Für die wenigen Personen die mit der Umstrukturierung, per Vertrag, in die Pflicht genommen wurden schwer genug. Die Frage ob damit der Problemkomplex Theater in Wien und die Zukunft für freies, unabhängiges, progressives Theater gelöst werden kann, bleibt offen.
So musste auch eine zentrale Fragestellung in der Diskussion: Wie lässt sich für die Zukunft freie Szene definieren? Was ist seine gesellschaftliche Bedeutung? Welche Instrumente braucht sie? - weitgehend unbeantwortet bleiben.
Klar ist, dass noch ein intensiver Diskussionsprozess zu erwarten und zu wünschen ist.

Vielleicht ist Marie Ringlers abschließender Kommentar der Diskussion: "Es kommen jetzt offenbar Probleme zum Vorschein die für die Zukunft unbedingt berücksichtigt werden sollen" als politisches Zeichen zu deuten.

Sicher ist: Die Diskussionsplattform – Weg vom runden Tisch - wird fortgesetzt.

Eine Koproduktion von WUK, THEATERlaborWERKSTATT, IGFT und IG Kultur Wien

 

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